Mikrofinanz und das genossenschaftliche System

19. Juni 2023 Mirko Gruhlke Business Development Manager

Das Konzept Mikrofinanz entstand aus der Idee der Hilfe zur Selbsthilfe. Ähnlich verhält es sich mit dem genossenschaftlichen System, das bereits im 19. Jahrhundert entwickelt wurde. Diese beiden Modelle weisen verschiedene Gemeinsamkeiten auf.

Beide entstanden aufgrund der Notwendigkeit, finanzielle Dienstleistungen für Menschen in der Region bereitzustellen, die normalerweise keinen Zugang zu traditionellen Finanzdienstleistungen haben. Das Ziel von Mikrofinanz und Genossenschaften war es, den Menschen durch Dienstleistungen die Gründung kleiner Unternehmen oder die Erweiterung bestehender Geschäfte zu ermöglichen, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern.

Im Laufe der Zeit hat sich der ursprünglich starke Solidargedanke bei beiden Konzepten zugunsten einer höheren Rentabilität verändert. Dennoch steht die Förderung und Betreuung der Mitglieder:innen und Kund:innen auch heute noch an erster Stelle, wie es in den genossenschaftlichen Satzungen festgelegt ist. Ähnlich verhält es sich bei den Mikrofinanzbanken.

Gründung der ersten Genossenschaftsbanken in Deutschland

Im 19. Jahrhundert hatten die Landwirtschaft und das Handwerk mit Finanzierungsproblemen zu kämpfen. Es fehlten liquide Mittel für den Kauf von Betriebsmitteln, die für Bauernhöfe und Handwerksbetriebe unerlässlich waren.

Um dieses Problem anzugehen, gründete der Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888) die ersten Genossenschaften wie den Flammersfelder Hilfsverein zur Unterstützung unbemittelter Landwirte (1848), den Heddesdorfer Darlehnskassenverein (1864) und die Landwirtschaftliche Genossenschaftsbank (1872). Diese Genossenschaften sollten mittellosen Landwirten helfen und ihnen den erschwinglichen Einkauf von Produktionsgütern ermöglichen.

Der “Grüne Kredit” ermöglichte beispielsweise den Kauf von Saatgut und Dünger, der später mit den Ernteerträgen zurückgezahlt werden konnte. Raiffeisen gründete auch Spar- und Darlehenskassenvereine, die von örtlichen Gemeinschaften verwaltet wurden. Der Leitspruch “Einer für alle, alle für einen” wurde zur Grundlage des Handelns in den landwirtschaftlichen Genossenschaften.

Parallel dazu entstanden ab 1850 auf genossenschaftlicher Basis von Hermann Schulze-Delitzsch gegründete Spar- und Konsumvereine. Die Kreditgenossenschaften galten damals als innovative Neuerung. Später entwickelten sich daraus die Volksbanken, die ab Mitte des 20. Jahrhunderts in Deutschland mit den Raiffeisenbanken fusionierten.

Menschen nur Geld zu geben, nimmt ihnen jede Initiative zur Selbsthilfe, jede Kreativität.

Muhammad Yunus im Interview mit Spiegel Online, 2007

Der Beginn der modernen Mikrofinanz

Mit dieser Einstellung erneuerte Muhammad Yunus – damals Dekan der Wirtschaftsfakultät der Chittagong University (Bangladesch) – den Leitgedanken finanzieller Inklusion und schuf das . Nach einer Hungersnot in Bangladesch im Jahr 1976 begaben sich Prof. Yunus und seine Studenten auf die Suche nach einem wirtschaftsfördernden, nachhaltigen Instrument, das für lebenswürdige Verhältnisse sorgen sollte.

Von der Korbflechterin Sufia Begum erfuhren sie von den hohen wöchentlichen (!) Zinsen, zu denen die Kleinunternehmerin einen Kredit von einem Kredithai aufnehmen musste, um den für ihr Geschäft notwendigen Bambus zu kaufen. Als Analphabetin wurden ihr von regulären Geschäftsbanken Darlehen verweigert. Die Zinsen wurden mit den durch ihr Geschäft gewonnenen Erträgen getilgt – ihr Gewinn war somit gleich Null.

Angetrieben von dieser Erfahrung gründete Yunus 1983 die Grameen Bank, was übersetzt bedeutet „Dorf-Bank“. Das Konzept lautete: Wirtschaftlich aktiven Menschen, denen von herkömmlichen Banken keine Darlehen gewährt wurden, einen Kredit zu geben, damit diese sich eine tragbare Existenz aufbauen können.

Auch der Grundgedanke von Muhammad Yunus, dass das Darlehensgeschäft für den Darlehensgeber ein Nullsummengeschäft sein sollte, hat sich im Laufe der Zeit zu Gunsten einer vorhandenen und wirtschaftlich notwendigen Profitorientierung verändert.

Rückblickend scheint es so, als sei das genossenschaftliche Modell seiner Zeit voraus gewesen und der Kerngedanke der Hilfe zur Selbsthilfe wurde in den letzten Jahrzehnten in den Entwicklungs- und Schwellenländern u.a. durch Mikrofinanzinstitute weitergetragen.

So wie sich das genossenschaftliche Modell von den ersten Gedanken bis zu dem heutigen, etablierten Modell entwickelt und verändert hat, kann man auch in dem verhältnismäßig jungen Mikrofinanzmarkt bereits Weiterentwicklungen und Veränderungen erleben.

Der unveränderte Fokus auf den Menschen und die Gesellschaft aber, mit dem Ziel einen positiven Beitrag für den jeweils Einzelnen leisten zu wollen, macht beide Modelle zeitlos und erfolgreich.

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