Braucht China Mikrofinanz?

04. August 2023

Mikrokredite leisten Hilfe zur Selbsthilfe, fördern insbesondere die Unabhängigkeit von Frauen und helfen beim Aufbau nationaler Finanzsysteme. Darüber hinaus eignet sich Mikrofinanz speziell dafür, kleinere Unternehmen zu unterstützen, die innovative Geschäftsmodelle realisieren und neben den sozialen Aspekten auch einen positiven Beitrag zur Umwelt leisten können.

Faktoren, die in unserer heutigen Zeit immer wichtiger werden. Der IIV Mikrofinanzfonds ist derzeit in 31 Entwicklungs- und Schwellenländern investiert und unterstützt über 93 Mikrofinanzinstitute und rund 455.000 Endkreditnehmer. Doch wie erklärt man, dass China, die weltweit zweitgrößte Wirtschaftsmacht, zu den Zielländern des Fonds gehört?

Über drei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Krieges zeigt sich, dass eine Zusammenarbeit mit Nicht-Demokratien wie Russland, China oder der Türkei nicht zwangsläufig zu einer Entwicklung in Richtung liberale Demokratien und offene Gesellschaften führen. Autoritäre Systeme wie in China verhärten sich, andere Staaten wie die Türkei bauen liberal-demokratische Elemente ab und kommen einem autoritären Regime immer näher. Diese Länder schränken die Freiheit und Bewegungsräume zivilgesellschaftlicher Organisationen und Medien sowie der Wissenschaft systematisch ein und nur noch Projekte mit regierungskonformen oder zumindest regierungsfreundlichen Partnern werden akzeptiert.

Doch löst die Verweigerung einer Kooperation die Probleme in diesen Ländern nicht, wo Menschen auf Hilfe angewiesen sind. Als Impact Investor und ausgelagerter Finanzportfoliomanager versuchen wir für die von uns gemanagten Fonds wirkungsvolle Investitionsmöglichkeiten zu identifizieren, Unternehmer zu unterstützen, die Chance auf ein besseres Leben zu ermöglichen und positive Veränderungen voranzutreiben. Deshalb treffen wir Investitionsentscheidungen auch unabhängig von einer Regierung, es sei denn das Land ist sanktioniert oder unterliegt einem Embargo, und legen das Augenmerk auf die Lebenssituation der Menschen.

Der Mensch steht im Mittelpunkt, nicht das politische System

Trotz seiner Größe und wirtschaftlichen Stärke sind die Wohlstandsunterschiede in China enorm. Viele Menschen haben nach wie vor keinen Zugang zu Finanzdienstleistungen und die Missstände sind erheblich.

China verwendet eine selbst definierte Grenze für die Einkommensarmut von etwa 2,30 Dollar pro Tag. Die Weltbank zieht die absolute Armutsgrenze eigentlich bei 1,90 Dollar pro Tag – allerdings für Länder mit niedrigem Einkommen. Für Länder mit gehobenem mittleren Einkommen, zu denen auch China gehört, empfiehlt sie eine Armutsgrenze von 5,50 Dollar. Wendet man diese an, betrifft das immer noch 200 Millionen Chinesen (13 Prozent), die unter Armutsgrenze leben.

Die Staatsform eines Landes ist bei unseren Investitionen nicht entscheidend, außer es handelt sich um sanktionierte Staaten wie Nordkorea oder den Iran. Entscheidend sind die Nöte der Menschen. Überall dort, wo der Zugang zu Finanzdienstleistungen nicht für jeden gewährleistet ist, hat Mikrofinanz in unseren Augen seine Berechtigung.

In China sehen wir vor allem die Ungleichheiten zwischen Arm und Reich sowie Land- und Stadtbewohnern kritisch. Laut Bundeszentrale für politische Bildung entfielen 2020 30,6 Prozent des gesamten Reichtums auf ein Prozent der chinesischen Bevölkerung und das Pro-Kopf-Einkommen auf dem Land war durchschnittlich dreimal niedriger als in der Stadt. Die regulatorischen sowie gesellschaftlichen Hürden für Landbewohner sind hoch, um dieselben Rechte und Zugänge zu grundlegenden Dienstleistungen wie Stadtbewohner zu erlangen.

Unser langjähriger Partner Incofin, Spezialist für ländliche Mikrofinanzierung, bestätigt diese Missstände. Die finanzielle Ausgrenzung ist in China nach wie vor hoch. So nehmen nur 27 Prozent der Menschen mit geringem Einkommen Kredite bei herkömmlichen Finanzinstituten in Anspruch.

Nichts ist so eindrucksvoll und aussagekräftig wie ein Besuch vor Ort.

Edda Schröder, Gründerin und Geschäftsführerin bei IIV

Sorgfalt und Erfahrung

Wie in allen anderen Ländern, in denen der IIV Mikrofinanzfonds investiert ist, legen wir als Impact Investor auch in China vor einer möglichen Zusammenarbeit großen Wert auf eine akribische Überprüfung aller infrage kommender Mikrofinanzinstitute.

Erfahrene Spezialisten unserer Partner unterstützen uns bei der Prüfung und Analyse des jeweiligen Mikrofinanzinstituts vor Ort. Die Auswahl erfolgt nach strengen finanziellen und sozialen Kriterien. Die Institute müssen z. B. von einem international anerkannten Wirtschaftsprüfer beurteilt werden. Wenn die von uns festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind, besuchen wir das Mikrofinanzinstitut und schauen uns auch die Filialen und Kundenakten an. Dabei kontrollieren wir, an welche Kunden das Institut die Gelder verleiht und wofür diese die Kredite einsetzen.

Wichtig ist uns die Transparenz in der Kommunikation mit den Kreditnehmern. Diese müssen beispielsweise wissen, wie viel Zinsen sie zahlen. Deshalb muss das Aufklärungsgespräch vor Ort dementsprechend klar und eindeutig sein. Darüber hinaus spielen bei den Mikrofinanzinstituten neben den prozessualen auch die sozialen Faktoren eine große Rolle, z. B. die soziale Performance, ESG-Risiken, das Einzugsverfahren gegenüber den Kreditnehmern, die Analyse der Zahlungsrückstände, der Umgang mit Mitarbeitenden sowie die Managementstruktur. Generell sind in China Nicht-Banken-Finanzinstitute reguliert. Bei den Mikrofinanzinstituten ist die Regulatorik von den sogenannten Financial Management Offices dezentral organisiert und restriktiv. Sie müssen in jeder Provinz, in der sie tätig werden wollen, spezielle Lizenzen beantragen. Zurzeit ist der IIV Mikrofinanzfonds in China bei drei Mikrofinanzinstituten investiert.

Nur wenn wir sowohl von den Finanzzahlen als auch von den sozialen Aspekten überzeugt sind, investieren wir über die von uns gemanagten Fonds in das Mikrofinanzinstitut. Dabei kommt uns unsere langjährige Erfahrung und ein spezialisiertes Netzwerk zugute.

Zuhause bei Familie Li

Turantai Gacha liegt im Westen der inneren Mongolei und ist aufgrund des Klimawandels, Überweidung, Dürre und starken Winden größtenteils zu Wüstenland geworden. Schon vor sieben Jahren kein Grund zur Resignation für Li Jing und seine Frau, die bis dahin von ihrer Bio-Landwirtschaft sowie vom Gemüseanbau lebten. Sie begannen die Strauchart Saxual zu pflanzen, die der Bodenbefestigung dient, um die fortschreitende Wüstenbildung zu stoppen. Um den Sandstürmen standzuhalten, muss Saxual allerdings großflächig angebaut werden. Ohne ein Kredit wäre das für Familie Li nicht machbar gewesen.

Da Li Jing mit seiner Familie tief in der Wüste lebt, mehr als 500 Kilometer von der Bezirkshauptstadt entfernt, waren seine Hoffnungen auf ein schnelles Darlehen sehr gering. Doch der Standort war für das Mikrofinanzinstitut Chongho Bridge kein Problem. Durch die zügige Umsetzung durch Chongho Bridge erhielt Li Jing bereits nach wenigen Tagen neue finanzielle Mittel. Die Familie bringt noch heute die Wüstenbepflanzung voran und leistet somit einen signifikanten Beitrag zur Wirtschaft und Umwelt im Heimatland. Die Visionen und Ziele der Familie Li verkörpern den essenziellen Beitrag, den Impact Investing leisten kann.

Li Jing beim Anpflanzen von Saxual.

„Unser diesjähriger Besuch hat bestätigt, dass Kleinunternehmer oft auf Finanzierungen angewiesen sind, um ihre Produktion zu steigern und ihre Geschäfte auszubauen.“, so Schröder.

Und Chief Investment Officer Dr. Carlos De las Salas Vega fügt hinzu: „Trotz drei Jahren Pandemie haben sich die Investitionen des IIV Mikrofinanzfonds in China gut entwickelt. Die Kredite werden zeitgemäß bedient und die Qualität des Kreditportfolios der Institute hat keine wesentliche Schwäche gezeigt. Die Provinzen, in denen die  drei privat geführten Finanzinstitute tätig sind, waren nicht von längeren Corona-Lockdowns betroffen, weshalb sie ihre Geschäftsaktivitäten weiter durchführen konnten.“

Wir unterstützen die Entwicklung von Kleinst- und Kleinunternehmen in China, weil wir der Überzeugung sind, dass dies generell die Basis für eine starke und gesunde Gesellschaft ist. Unser Versprechen ist es, unternehmerisch denkenden Menschen vor Ort dabei zu helfen, finanziell unabhängig zu werden und sich selbst zu verwirklichen.

Unsere Reise durch China stärkte nicht nur unser Vertrauen in die Widerstandsfähigkeit der Mikrofinanzinstitute, sondern hat erneut auch die transformative Kraft von Krediten für Kleinstunternehmern verdeutlicht.

Edda Schröder