Autokratische Systeme und Mikrofinanz – passt das zusammen?

06. Dezember 2023 Michael Zink Chief Customer Officer

In welchen Ländern der IIV Mikrofinanzfonds ausgesuchte Mikrofinanzinstitute refinanziert (und in welchen nicht).

Der IIV Mikrofinanzfonds erwirbt mit den von den Investorinnen und Investoren angelegten Mitteln unverbriefte Darlehensforderungen gegen Mikrofinanzinstitute in Entwicklungs- und Schwellenländern. Dabei werden die Mikrofinanzinstitute akribisch nach finanziellen und sozialen Kriterien ausgewählt. Neben der Beurteilung der Schuldentragfähigkeit und der Nachhaltigkeit des jeweiligen Finanzinstituts ist die Situation im jeweiligen Zielland ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung über den Ankauf einer Darlehensforderung. Warum der Fonds in manchen Regionen sehr stark und in anderen kaum vertreten ist, soll in diesem Beitrag erläutert werden.

Wir erklären außerdem, warum es wichtig ist, Mikrofinanzinstitute auch in Ländern mit autokratischen Regimen zu refinanzieren, warum der Fonds in China, der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt, investiert und was uns veranlasst hat, in einem Land zunächst nicht mehr neu zu investieren.

Was uns ein Blick auf den Globus zeigt

Bei einem Blick auf die untenstehende Weltkarte fällt auf, dass der IIV Mikrofinanzfonds vor allem Mikrofinanzinstitute in Asien (46 Prozent) und in Mittel- und Südamerika (34,4 Prozent) refinanziert. Der Kaukasus (10,4 Prozent), Osteuropa (6,9 Prozent) und Subsahara-Afrika (2,3 Prozent) sind dagegen unterdurchschnittlich repräsentiert. Bei aktuell 91 Mikrofinanzinstituten in 33 Ländern (Stand: 30.11.2023) ist diese Verteilung nicht zufällig.

Bei der Prüfung vor einer Darlehenszusage („Due Diligence“) an ein Mikrofinanzinstitut prüft das Investmentkomitee des IIV Mikrofinanzfonds die Kreditfähigkeit des Finanzinstituts und stellt sein individuelles Nachhaltigkeits-Score fest.

Bevor jedoch ein Mikrofinanzinstitut überhaupt in die Prüfung aufgenommen wird, erfolgt im Zuge des Top-Down-Prozesses zunächst eine intensive Analyse bezüglich des Landes in dem das Mikrofinanzinstitut ansässig ist. Dabei wird untersucht, wie gut die Mikrofinanzregulierung des Landes ist, ob ein ausreichender Gläubigerschutz besteht und ob die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen des Landes finanzielle Investitionen hinreichend sicher erscheinen lassen. Darüber hinaus fließen Informationen über die sozioökonomischen Gegebenheiten sowie die Infrastruktur, die Wahrung der Menschenrechte, die Verbreitung von Korruption und weitere soziale Themen in die Entscheidung ein.

So gibt es zum Beispiel in unseren größten Zielländern Ecuador und Indien einen seit vielen Jahren etablierten Mikrofinanzmarkt mit starker Regulierung und guten Rahmenbedingungen für ausländische Kreditgeber. Noch dazu wurden die „Client Protection Principles“, also die Regeln zum Schutz der Endkreditnehmer vor Überschuldung und Fehlberatung, entwickelt durch die Social Performance Task Force, im Laufe der Zeit ausgebaut. Die Mikrofinanzinstitute, die durch den IIV Mikrofinanzfonds refinanziert werden, haben sich zu deren Einhaltung und Umsetzung verpflichtet. Der afrikanische Kontinent hingegen umfasst 54 Länder mit zum Teil sehr unterschiedlich entwickelten Finanzmärkten. Unsere Anforderungen an ein geeignetes Rendite-Risiko-Profil erfüllt dort derzeit kaum ein Finanzinstitut.

Unterstützt Mikrofinanz indirekt diktatorische Regime?

Der IIV Mikrofinanzfonds investiert ausschließlich in Mikrofinanzinstitute in Entwicklungs- oder Schwellenländern. Diesen Ländern ist häufig gemein, dass ihr politischer und gesellschaftlicher Entwicklungsstand nicht mit unseren westlich-demokratischen Wertvorstellungen übereinstimmt. Ob Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung, Schutz von Minderheiten, gesellschaftliche Teilhabe oder Wahlfreiheit – in vielen Zielländern werden der einheimischen Bevölkerung grundlegende Rechte vorenthalten. Darüber hinaus gibt es oft große Unterschiede zwischen verschiedenen sozioökonomischen Bevölkerungsschichten, es mangelt vielerorts an moderner, funktionierender Infrastruktur und Korruption ist häufig weit verbreitet – nur um Beispiele zu nennen.

Trotzdem ist es wichtig und richtig, insbesondere auch in Ländern zu investieren, die nach unseren Maßstäben nicht demokratisch regiert werden. Dabei gilt es hervorzuheben, dass es nicht bedeutet, dass durch Mikrofinanz Staaten finanziert bzw. gefördert werden. Der Fonds erwirbt keine Staatsanleihen, sondern fokussiert sich auf die Refinanzierung von Mikrofinanzinstituten, die Menschen Mittel zur Verfügung stellen, um sich eine Existenz aufbauen zu können. So soll der IIV Mikrofinanzfonds den Menschen vor Ort Hilfe zur Selbsthilfe leisten: damit Arbeitsplätze entstehen, Infrastruktur aufgebaut wird, Zugang zu Bildung ermöglicht wird, Frauen Gleichberechtigung erfahren und ganz allgemein das Wohlstandsniveau angehoben wird. Denn nachhaltiger Wohlstand ist meist die Voraussetzung für demokratische Teilhabe.

Die Erfolgsgeschichten, die wir in unseren Monatsberichten und auf unserer Website veröffentlichen, unterstreichen häufig, dass die hauptsächliche Motivation zur Aufnahme eines Darlehens neben der Verbesserung des eigenen Lebensstandards die Ermöglichung der Bildungsteilhabe der nachfolgenden Generation ist.

Mitunter wird argumentiert, dass Mikrofinanz Arbeitsplätze schafft, was letztlich zur Stabilisierung von undemokratischen Regimen beitragen könnte. Gleichwohl zeigen viele Studien, dass sich gesellschaftliche Systeme zunehmend demokratisieren, wenn der Wohlstand der Bevölkerung zu wachsen beginnt. Primäres Ziel von Mikrofinanz ist die Unterstützung wirtschaftlich aktiver Menschen zur Verbesserung ihrer individuellen Situation. Mit dem Erreichen dieses Ziels trägt die Mikrofinanz zum wirtschaftlichen Wachstum eines Landes sowie zu sozioökonomischen Entwicklungen bei. Letztlich kann dies durch stärkere Teilnahme wachsender Bevölkerungsteile am gesellschaftlichen Leben Demokratisierungsprozesse begünstigen und auch eine Reduzierung von Fluchtursachen bewirken.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass für den IIV Mikrofinanzfonds Investitionen in Staaten, die internationalen Sanktionen unterliegen, wie Nordkorea, Iran, Jemen oder Russland ausgeschlossen sind.

Braucht China Mikrofinanz?

In einem Blogbeitrag von August 2023 haben wir uns mit der Frage “Braucht China Mikrofinanz?” beschäftigt. Die wichtigsten Gedanken fassen wir hier noch einmal zusammen:

Die Volksrepublik China ist seit 2010 die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Gemessen an der Kaufkraftparität liegt sie seit rund sieben Jahren sogar an der Spitze. Eine hohe Dynamik und große Bodenschätze, insbesondere an Seltenen Erden, haben das Land zu einer globalen Supermacht gemacht. Aufgrund der ausgeprägten regionalen Unterschiede gibt es in dem Land aber nach wie vor viele Menschen ohne Zugang zu Finanzdienstleistungen.

China verwendet eine selbst definierte Grenze für die Einkommensarmut von etwa 2,30 Dollar pro Tag. Die Weltbank zieht die absolute Armutsgrenze eigentlich bei 1,90 Dollar pro Tag – allerdings für Länder mit niedrigem Einkommen. Für Länder mit gehobenem mittleren Einkommen, zu denen auch China gehört, empfiehlt sie die Verwendung einer Armutsgrenze von 5,50 Dollar. Wendet man diese an, betrifft das immerhin noch 200 Millionen Chinesen (13 Prozent), die unter der Armutsgrenze leben.

In China sehen wir vor allem die Ungleichheiten zwischen Arm und Reich sowie Land- und Stadtbewohnern kritisch. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung besitzt ein Prozent der chinesischen Bevölkerung 30,6 Prozent (2020) des Gesamtvermögens und das Pro-Kopf-Einkommen auf dem Land war durchschnittlich dreimal niedriger als in der Stadt. Die regulatorischen sowie gesellschaftlichen Hürden für Landbewohner sind hoch, um dieselben Rechte und Zugänge zu grundlegenden Dienstleistungen wie Stadtbewohner zu erlangen.

Genau hier setzt der IIV Mikrofinanzfonds an, indem er Finanzinstitute refinanziert, die im ländlichen Gebiet aktiv sind. Aktuell arbeiten wir mit drei chinesischen Instituten zusammen, die durch die sogenannten Financial Management Offices dezentral organisiert sind. Die Institute sind als Non-Bank Financial Institution klassifiziert, also sind sie rechtlich gesehen keine Banken. Daher verfügen sie auch nicht über eine vollständige Banklizenz bzw. werden nicht von einer nationalen Bankenaufsichtsbehörde beaufsichtigt. Durch die Financial Management Offices sind sie dennoch stark reguliert. Sie müssen beispielsweise in jeder Provinz, in der sie tätig werden wollen, spezielle Lizenzen beantragen.

Kein Licht ohne Schatten – das Beispiel Kambodscha

Richtig eingesetzt kann Mikrofinanz also eine positive soziale und finanzielle Wirkung entfalten. Deshalb ist die Auswahl qualifizierter Mikrofinanzinstitute von entscheidender Bedeutung. In jüngster Zeit steht Kambodscha bzw. stehen dort aktive Mikrofinanzinstitute medial auf dem Prüfstand.

In einem Beitrag vom Juli 2023 haben wir bereits über die ambivalente Situation in Kambodscha berichtet: Mikrofinanz in Kambodscha – Invest In Visions

Im Impact Report 2022 haben wir zudem Folgendes publiziert:

2022 hat uns die Entwicklung des Mikrofinanzmarktes in Kambodscha intensiv beschäftigt. Eine im Mai 2022 erschienene unabhängige Studie des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg hat einerseits gezeigt, dass die überwiegende Mehrheit der Kreditnehmer in Kambodscha die Kredite positiv bewertet und sie von den Mikrofinanzinstituten und deren Personal respektvoll behandelt werden. Andererseits wurde durch die Studie auch die hohe durchschnittliche Überschuldung der kambodschanischen Haushalte bestätigt, auf die Nichtregierungsorganisationen kritisch hinweisen. Wir standen und stehen in intensivem Austausch sowohl mit unseren Partnerinstituten als auch mit der Zivilgesellschaft und haben beschlossen, 2023 zunächst keine weiteren Investitionen in kambodschanische Mikrofinanzinstitute zu tätigen, sondern das Jahr für eine tiefgreifende Analyse des Mikrofinanzmarktes im Land zu nutzen. Zudem wurde festgelegt, künftig nur noch in kambodschanische Mikrofinanzinstitute zu investieren, die für Darlehen unter 2.500 US-Dollar keine Landtitel als Sicherheit verlangen und ihren Mitarbeitenden aggressive Haus-zu-Haus-Werbung untersagen. Beide Beschlüsse nehmen Empfehlungen auf, die in der Studie des INEF ausgesprochen werden.

In einigen Medien wurde die aktuelle Situation des Mikrofinanzmarkets in Kambodscha sehr einseitig und dramatisch dargestellt. Die in den Artikeln vorgeschlagenen “Lösungen” sind unseres Erachtens fehlgegriffen. Wir halten einen vollständigen Rückzug ethisch motivierter Geldgeber – wie er von den Nichtregierungsorganisationen vorgeschlagen wurde – für unangemessen, weil dadurch wahrscheinlich andere Investoren die entstandene Lücke füllen würden, deren Intention weitaus weniger sozial ausgerichtet und den Bedürfnissen der Endkreditnehmer angemessen erscheint.

Zusammenfassung

Mikrofinanz hat sich in den letzten zwanzig Jahren als ein wirksames Instrument zur Armutsbekämpfung etabliert. Zahlreiche Studien belegen, dass Mikrofinanz einen positiven Beitrag zum Wirtschaftswachstum in den Ländern des globalen Südens leistet. In diesen Zielländern entsprechen die gesellschaftlichen und politischen Umstände häufig nicht unseren Vorstellungen von einem demokratischen Gemeinwesen.

Unzureichende Infrastruktur, Korruption und die Verwehrung von Grundrechten gibt es häufig in den Ländern, in denen sich die Mikrofinanzinstitute befinden, die vom IIV Mikrofinanzfonds refinanziert werden. Wir glauben, dass Mikrofinanz einen wichtigen Beitrag dabei leisten kann, die wirtschaftliche Leistung der Bevölkerung zu verbessern, Wohlstand für viele zu schaffen, Gleichberechtigung zu gewährleisten und letztlich durch Verbesserungen der sozioökonomischen Bedingungen Fluchtursachen zu bekämpfen.