Mikrofinanz und SME-Finanzierung – Gemeinsamkeiten und Unterschiede

18. August 2021 Moritz Isenmann Senior Impact and Sustainability Manager

MSME, d.h. Mikrounternehmen und SMEs (small and medium-sized enterprises) zusammen, machen in Volkswirtschaften den Großteil aller Unternehmen aus. Die Förderung beider Unternehmensarten ist von allergrößter Bedeutung, wenn es in den nächsten Jahren darum gehen wird, mehrere hundert Millionen Arbeitsplätze im Globalen Süden zu schaffen. Aber welche Unterschiede gibt es zwischen den beiden? Und welche Wirkung erzeugt jeweils ihre Finanzierung?
Der Anteil von MSME an der Gesamtzahl der Unternehmen eines Landes ist beträchtlich. Oft liegt er sogar bei 99 Prozent und darüber. 85-95 Prozent beträgt dabei normalerweise der Anteil von Mikrounternehmen, der von SME liegt durchschnittlich bei rund 10 Prozent. Als Mikrounternehmen gelten Unternehmen mit bis zu 9 Mitarbeiter:innen. SMEs unterscheiden sich von Mikrounternehmen dabei sowohl durch ihre größere Mitarbeiterzahl (10 bis 100 bzw. 250 je nach regionaler Definition) als auch durch ihren deutlich größeren Umsatz.
Aufgrund des großen Potentials von MSME für das wirtschaftliche Wachstum und die Beschäftigungslage in den Entwicklungs- und Schwellenländern steht ihre Förderung seit der Finanzkrise 2008 weit oben auf der Agenda öffentlicher Institutionen wie der Weltbank und ihrer privatwirtschaftlich ausgerichteten Schwesterorganisation, der International Finance Corporation (IFC).
Invest in Visions ist seit der Auflage des IIV Mikrofinanzfonds 2011 im Bereich der Förderung von Mikrounternehmen tätig. Vor kurzem hat das Unternehmen den „IIV Sustainable SME Debt Fund EM – Finance for Future“ aufgelegt, mit dem nun auch gezielt kleine und mittlere Unternehmen in den Emerging Markets finanziert werden sollen. Worin bestehen die Gemeinsamkeiten bei der Förderung von Mikrounternehmen und SME? Wo liegen die Unterschiede?

Beide Gruppen benötigen Finanzierung

Eine große Gemeinsamkeit gibt es: Beide Kategorien haben einen sehr eingeschränkten Zugang zum Kapitalmarkt und benötigen dringend Finanzierung. Das Finanzierungsdefizit für Mikrounternehmen beläuft sich einer Studie der IFC aus dem Jahr 2017 zufolge auf 714 Mrd. US-Dollar bzw. auf 81 Prozent des insgesamt benötigten Kapitals, das für SME auf 4,5 Billionen US-Dollar, was 56 Prozent des gesamten Finanzierungsbedarfs für kleine und mittlere Unternehmen in den Entwicklungs- und Schwellenländern entspricht.
Um die Tragweite dieser Diagnose einschätzen zu können: Die MSME-Finanzierungslücke beträgt in den Emerging Markets durchschnittlich 19 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In Europa gibt es zwar ebenfalls eine Finanzierungslücke für MSME. Doch belief sich diese 2019 auf lediglich 400 Mrd. Euro bzw. 3 Prozent der kumulierten Wirtschaftsleistung. In den USA waren es sogar nur 2 Prozent.¹

Schaffung von Arbeitsplätzen: Soziale vs. ökonomische Logik

Neben der Gemeinsamkeit eines enormen, ungedeckten Finanzierungsbedarfs, der durch die Corona-Pandemie noch beträchtlich erhöht wurde, gibt es eine ganze Reihe von Unterschieden. Der erste besteht darin, dass von Mikrofinanzinstituten vergebene Kleinstdarlehen nicht immer unternehmerischen Zwecken dienen. Etwa ein Viertel der Kredite wird von den Kreditnehmer:innen für andere wichtige Zwecke verwendet, wie beispielsweise die Schulbildung der Kinder, die Instandsetzung des Wohnraums oder notwendige soziale Ausgaben wie Beerdigungen.² Darlehen an SME hingegen dienen ausschließlich unternehmerischen Zwecken.
Die Verwendung der Darlehen ist selbst dann unterschiedlich, wenn man den Anteil der nicht für unternehmerische Zwecke vergebenen Kredite ausklammert. Mikrounternehmen verwenden die Darlehen nämlich vor allem als Betriebsmittel für die Ausstattung des Unternehmens mit Geräten und Maschinen oder den Erwerb von Rohstoffen. Beispiele für diese Verwendungsart von Mikrokrediten finden Sie in unseren Kundengeschichten. Darlehen an SME wiederum dienen meist der Fortentwicklung und Expansion des Unternehmens.
Beide Unternehmensformen erfüllen eine wichtige Rolle bei der Schaffung von Arbeitsplätzen im globalen Süden. Auch hier gibt es aber signifikante Unterschiede: Mikrounternehmen werden oft gegründet, weil der Arbeitsmarkt keine ausreichenden Beschäftigungsmöglichkeiten bereithält. Indem sie unternehmerisch tätig werden, schaffen sich die Mikrounternehmer:innen gewissermaßen ihren eigenen Arbeitsplatz. Zudem steht bei der Auswahl der Mitarbeiter:innen nicht deren Ausbildung und möglicher Beitrag zur Produktivität des Unternehmens im Vordergrund. Diese folgt eher einer sozialen als einer ökonomischen Logik. Man beschäftigt vor allem Familienmitglieder, gegebenenfalls auch Freunde und Mitglieder der Gemeinschaft, um diesen ein Auskommen zu verschaffen. Zusätzliche Arbeitsplätze für den Arbeitsmarkt, deren Besetzung auf Produktivität angelegt ist und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung von Ländern – sprich: Wirtschaftswachstum – unterstützt, werden vor allem von SME geschaffen. Diese verlangen von ihren Mitarbeiter:innen auch einen höheren Ausbildungsgrad als Mikrounternehmen.³

Vom Mikrounternehmen zum SME?

Mikrounternehmen und SME gehören also unterschiedlichen ökonomischen Sphären an. Dass sich Mikrounternehmen über die Jahre und durch eine schrittweise Steigerung der Kreditsummen hin zu SME entwickeln, kommt zwar durchaus vor, ist aber nicht sehr häufig. In einer Studie aus dem Jahr 2018, in der fünf Länder untersucht wurden, bewegte sich der Anteil zwischen 3 und 12 Prozent.4 Das liegt in einigen Fällen sicher daran, dass die Wachstumsfinanzierung ausbleibt. Aber auch andere Faktoren haben Gewicht, wie beispielsweise das Geschäftsmodell vieler Mikrounternehmen sowie der relativ geringe Ausbildungsgrad der Gründer:innen, die meist nicht über das notwendige finanztechnische und unternehmerische Wissen verfügen, um ein Unternehmen auf eine höhere Stufe zu heben.

Eine unterschiedliche Wirkung: Armut bekämpfen und Wirtschaftswachstum fördern

Zusammengefasst kann man sagen: Mikrofinanz und SME-Finanzierung sind keine alternativen oder sogar konkurrierenden Wege, um die ökonomische Entwicklung in den Emerging Markets zu fördern. Sie sind für unterschiedliche Menschen da und fördern unterschiedliche Dinge. Mit Mikrofinanz wird vor allem Armut bekämpft und einkommensschwachen Menschen mit geringem Bildungsgrad Hilfe zur Selbsthilfe geboten. SME-Finanzierung wiederum dient der Schaffung produktiver Arbeitsplätze und der Förderung von Wirtschaftswachstum in den betreffenden Ländern. Beides ist gleich wichtig und verdient in gleichem Maße unsere Unterstützung.

1 IFC (2017), MSME Financing Gap, S. 35; für Europa siehe: European SMEs: Filling the Bank Financing Gap (=The View 09 April 2019, Allianz & Euler Hermes Economic Research).
2 Siehe den IIV Impact Report 2020, S. 25.
3 Jonathan Bauchet / Jonathan Murdoch, Is Micro too Small? Microcredit vs. SME Finance, in: World Development 2012.
4 Dino Merotto et al., Pathways to better Jobs in IDA Countries, Worldbank: Washington DC 2018, S. 32.